Respekt - ein unterschätztes Bedürfnis

Aus Wiki1

Wechseln zu: Navigation, Suche

Die Würde des Menschen ist unantastbar (Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes)

Menschen brauchen Respekt. Der Mensch ist ein soziales Wesen und sein Überleben hing und hängt immer vom Wohlwollen seiner Mitmenschen ab. Der Entzug von Achtung und Respekt durch die Mitmenschen ist daher ein für den Einzelnen existenzbedrohender Vorgang. Viele Irritationen in der Gesellschaft sind deshalb auf den mangelnden Respekt gegenüber dem Individuum zurück zu führen und viele Handlungsweisen des Menschen sind alleine dem Versuch geschuldet, Respekt und Anerkennung seiner Mitmenschen zu erlangen.

Inhaltsverzeichnis

Respekt und kulturelle Regeln

Dabei ergibt sich für den Einzelnen ein Problem: jede Gesellschaft, jede Gruppe entwickelt eigene Regeln, unter welchen Umständen Menschen die Achtung ihrer Mitmenschen erlangen oder wieder verlieren. Menschen aus unterschiedlichen Gruppen stoßen hier zwangsläufig an Grenzen. Jemand fühlt sich respektlos behandelt, obwohl der Andere nichts dergleichen im Sinn hatte. Ein Mensch versucht Achtung zu erlangen durch Verhaltensweisen, die in der neuen Umgebung auf Unverständnis oder gar Unwillen stoßen. Wenn heute oft vom "Kampf der Kulturen" oder von "Parallelgesellschaften" die Rede ist, so sind die darunter zusammengefassten Phänomene häufig auf ein Auseinanderlaufen der Regeln für gegenseitigen Respekt zurück zu führen.

Respekt und soziale Schichten

Das gilt auch für die Probleme durch das Auseinanderdriften der sozialen Schichten. Innerhalb der Schichten gibt es häufig einen Konsens, wie man sich zu verhalten hat, um von den Anderen respektiert oder geachtet zu werden. In dem man in der sozialen Schicht aufwächst, lernt man diese Regeln kennen und souverän mit ihnen umzugehen. Menschen fällt es schwer, ohne diese fundamentale soziale Prägung innerhalb einer anderen Schicht oder Gruppe Respekt zu erlangen. Dabei spielen die absoluten materiellen Lebensbedingungen nur eine geringe Rolle. Entscheidend für den Wert eines Menschen ist sein Status, den er innerhalb seiner Gruppe, seiner Gesellschaft erhält. Eine kluge, mathematisch begabte junge Frau würde als Tochter aus gutem Akademikerhaushalt höchstwahrscheinlich zu einer selbstbewussten Erwachsenen. Als Kind mit prekärem familiärem Umfeld in einem sozialen Brennpunkt aufwachsend, würde ihr für diese Fähigkeiten keinerlei Achtung entgegengebracht. Dort wäre es wichtiger, mit 13 einen Freund zu haben, gut auszusehen und das passende Smartphone zu besitzen.

Um die Zementierung solcher "Maßstäbe" zu verhindern und Menschen die Möglichkeit zu geben, sich in anderen gesellschaftlichen Bereichen zu bewegen und dort passendere Perspektiven für das eigene Leben zu suchen, ist ein früher Austausch notwendig.

Die Gesellschaft muss Freiräume schaffen, in denen Menschen aus unterschiedlichen Gruppen lernen können, miteinander umzugehen. Eine Möglichkeit bietet (theoretisch) die Schule. Die Idee, Heranwachsenden aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten die Begegnung (und Auseinandersetzung) auf gemeinsamen Schulen zu ermöglichen, ist nicht nur eine Frage der Chancengleichheit. Sie verhindert auch die Bildung einer bornierten Perspektive auf die Mitmenschen. Leider sind es gerade die vermeintlichen "Eliten" die zunehmend den Abstand zum niederen Volk suchen - und damit die eigene intellektuelle und soziale Beschränktheit fördern.

Resultat dieser Beschränktheit sind "Meinungen" wie die folgende:

"Selbst wenn ich der Meinung wäre, was ich auf 
theoretischer Ebene bin, dass es schön wäre, wenn alle Menschen 
die  gleichen Chancen hätten, wäre es natürlich schon
eine...naive Sozialfantasie, aber die widerspricht ja der
Realität. Die Welt ist weder gerecht, noch sind die 
Chancen gleich verteilt. Was hat also die Welt davon, 
wenn unsere Schüler darauf verzichten würden, ihr Netzwerk
und ihre Beziehungen zu Nutzen? Kann ich nicht sagen, dass
ich da ein schlechtes Gewissen habe."
Leiter der Internatsschule Schloss Neubeuren auf die 
Frage, ob es sein Gerechtigkeitsempfinden berühre, dass
seine Schüler bessere Chancen haben als andere - aus Gestatten: Elite

Selbstachtung in der globalisierten Welt

Hinzu kommt, dass in unseren technisierten Gesellschaften der Wert des Einzelnen - und damit die gesellschaftliche Achtung, die ihm entgegengebracht wird - immer weiter reduziert wird. In Zeiten vollautomatischer CNC-Werkzeugmaschinen ist die handwerkliche Fähigkeit eines Drehers alter Schule nichts mehr wert. Während einige wenige "Alphamenschen" durch ihre ökonomischen und gesellschaftlichen Möglichkeiten Anerkennung über Anerkennung anhäufen, müssen sich andere mit einer zunehmenden Ignoranz oder gar Verachtung auseinandersetzen - keine schöne Perspektive, die durch die technische Entwicklung noch verschärft wird.

Dass eine deutsche Friseurin immer noch ein Vielfaches dessen verdient, was ein indischer Landarbeiter sein Eigen nennt, hilft ihr für das Leben in Deutschland wenig. Anerkennung ließ und läßt sich nie alleine aus dem absoluten materiellen Status ableiten, sondern nur aus dem relativen - und der liegt bei der Friseurin auf dem Niveau eines Hartz IV- Empfängers. Es ist eines der großen Probleme westlicher Industriegesellschaften, dass dort die Selbstachtung der "kleinen Leute" in den letzten Jahren zunehmend unterminiert wurde. Der stolze Handwerker mit Hauptschulabschluss stirbt aus und wird durch den renintenten Schulabbrecher ohne gesellschaftliche Perspektiven ersetzt.

In der globalisierten Welt gilt inzwischen die Regel: "The winner takes all" - "Der Gewinner bekommt Alles". Damit wird aus jedem "Nichtgewinner" ein Verlierer. Das ist aber auf Dauer ein unerträglicher Zustand für Menschen - und er ist auch nicht gerechtfertigt. Natürlich ist nicht nur der 1. Platz anerkennenswert. Aber die Öffentlichkeit und allen voran die Medien verweigern sich dieser Erkenntnis. Wettbewerbe um Superstars für Alles und Jedes werden ausgerufen. Exzellenzinitiativen sollen helfen, die Besten der Besten zu finden und jedes Unternehmen will nur noch Spitzenkräfte. All dies signalisiert dem Einzelnen: du hast keinen Wert für uns, wenn du nicht zu den Besten zählst.

Ich hoffe sehr, dass die Wissenschaft und 
die Entscheidungsträger eines Tages wieder 
entdecken, was man in alter Zeit schon immer
wusste: dass unsere höchste Währung Achtung ist.

Nassim Nicholas Taleb, Der Schwarze Schwan

Wie sich Menschen trotzdem Respekt verschaffen

Aber die Mehrheit der Menschheit zählt eben nicht zu den Besten. Der durchschnittliche Mensch ist durchschnittlich. Ihm systematisch jede gesellschaftliche Anerkennung zu verweigern ist nicht gerechtfertigt und es wird böse Folgen haben. Denn Menschen brauchen Anerkennung wie die Luft zum atmen. Wenn es aber nicht mehr genügt, sich in eine Gesellschaft einzufügen, freundlich zu sein und mitzuarbeiten - wenn nur noch der (von Anderen definierte) Erfolg und Nutzen zählt - dann zwingt man Menschen, sich die benötigte Anerkennung irgendwo ausserhalb der Gesellschaft zu beschaffen - oder sie in blinder Wut zu zerstören. Auf diese Weise werden die Grundlagen einer Gesellschaft aber systematisch errodiert. Am Ende bleibt nur noch die kleine Minderheit der selbsternannten Elite auf der einen Seite und auf der anderen Seite unzählige Gruppen, Parallelgesellschaften und informelle Netzwerke mit eigenen Regeln und Normen, in denen Menschen den dringend benötigten Respekt finden. Ob eine solche "Gesellschaft" ohne breite Basis auf Dauer lebensfähig ist, bleibt zu bezweifeln. Wie solche "Gesellschaften" funktionieren, kann in vielen Ländern mit kleiner politischen Machtelite und großer, verarmter Bevölkerung beobachtet werden.

siehe auch:

Persönliche Werkzeuge