Gehirn und Computer

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Der Irrtum vom künstlichen Gehirn

In den Computerwissenschaften ist die Idee vom menschlichen Gehirn als komplexem Computer ein gängiges Klischee. Dabei könnten die beiden Konzepte für die Verarbeitung von Informationen nicht unterschiedlicher sein. Die nachfolgenden Thesen beruhen auf wissenschaftlichem Halbwissen, Erfahrungen mit dem eigenen "Ich" und auf eigenen Überlegungen. Ich versuche die wesentlichen Unterschiede zwischen der Funktion eines Computers und dem Gehirn eines Menschen herauszuarbeiten, wobei ich beim Gehirn Bilder verwende, die die komplexen Prozesse beschreiben sollen - eine Erklärung sind sie noch nicht.

Computer

Der Computer ist eine sequenziell arbeitende Turingmaschine. Er kann ein vorgegebenes Programm Schritt für Schritt ab arbeiten. Das Programm wird im Computer als elektrisches Muster verankert. Dieses Muster kann nur sehr begrenzt und nur nach genauen Regeln modifiziert werden, ohne die Gesamtfunktion zu gefährden. Das Programm erfordert das Einlesen eines Datensatzes. Dieser wird durch das Programm modifiziert und ein veränderter Datensatz wird ausgegeben. Dann folgt der nächste Datensatz. Die Datensätze bestehen je nach Computersystem aus unterschiedlich vielen Informationseinheiten (Bits). Die Anzahl der Bits, die gleichzeitig an den Computerkern, den Prozessor, übermittelt werden können, hängt vom sogenannten "Bus" ab. 64 bit sind heute üblich. Die technische Meisterleistung in den letzten Jahren bestand darin, die Geschwindigkeit der Schrittfolgen um Größenordnungen zu steigern. 2 GHz sind heute Standard (2.000.000.000 Takte/Sek).

Das Gehirn

Unser Gehirn arbeitet dagegen äußerst behäbig. Ab etwa 20 Bilder/Sekunde sind wir nicht mehr in der Lage, die Einzelbilder zu differenzieren. Das heißt unsere innere "Taktfrequenz" liegt irgendwo im Bereich von 20 Hz. Aber das Gehirn arbeitet parallel und nicht sequentiell. Während ein 64-bit Computer 64 Informationszustände gleichzeitig bearbeiten kann, verfügt das menschliche Gehirn über Billionen Nervenzellen, die jede über bis zu tausend Verknüpfungen mit anderen Zellen verbunden sind. Diese Zellen erhalten gleichzeitig über Millionen Kanäle Signale von außen - über Sinnesorgane und aus dem Inneren des Körpers. Diese eingehenden Signale werden von unseren Gehirnzellen gleichzeitig (parallel) registriert. Unser Nervensystem verarbeitet die eingehenden Sinneseindrücke nicht schnell - aber es verarbeitet unzählige Informationen im selben Augenblick. Ein guter Begriff zur Beschreibung der inneren Vorgänge des Gehirns ist das "Muster".

Ein System zur Mustererkennung

Alle empfangenen Signale bilden in unserem Gehirn ein komplexes 3.dimensionales Muster aus neuronal aktiven Verbindungen. Dieses Muster repräsentiert genau einen Zustand der Wirklichkeit bestehend aus Signalen unserer Umwelt und dem inneren Zustand des Individuums. Zusätzlich wird dieses Muster bis zu 3 Sekunden im Gehirn gehalten, sodass nicht nur der einzelne Augenblick sondern ein kleiner zeitlicher Ausschnitt aller Augenblicke in den vergangenen 3 Sekunden in unserem Gehirn präsent ist. Die Aufgabe des Gehirns besteht nun darin, aus diesem Eingangsmuster Schritt für Schritt ein Ausgangsmuster zu erzeugen, das den Menschen in einen Zustand versetzt, der dem augenblicklichen Zustand der Wirklichkeit "angemessen" ist. Das Gehirn ist dabei nicht nur in der Lage, das Muster zu modifizieren, sondern es kann das Muster durch bleibende neuronale Verbindungen physisch über die 3 Sekunden bewahren: es speichert das Muster dauerhaft. Die Regeln, nach denen ein Muster gespeichert wird, sind durch die physischen und chemischen Eigenschaften des Gehirns definiert und haben sich in den langen Zeiträumen der Evolution herausgebilde. Anders als der Computer wird die Information nicht in einem separaten Teil des Gehirns abgelegt (gespeichert), sondern sie wird in der inneren Struktur des Gehirns verankert. Auch die Möglichkeiten des Gehirns, das Eingangsmuster zu verändern, sind ihm durch solche verankerten Strukturen vorgegeben. Diese festen Verknüpfungen können angeboren oder erlernt sein und sie können wieder verschwinden und vergessen werden.

Auch das Denken selbst funktioniert in ähnlicher Weise. Hier arbeitet das Gehirn jedoch nur mit Mustern die in ihm selbst auftreten und modifiziert sich selbst. Muster, die durch Signale von außen eintreffen, werden ausgeblendet und die Ausgangszustände werden nicht an unsere reale Physis weitergeleitet. Das Gehirn arbeitet sich von einem Muster zum nächsten vor, tastend und vielleicht nur den Zufall nutzend, indem einzelne Zellen willkürlich aktiviert werden, bis sich ein "passendes" Folgemuster einstellt.

Der menschliche Geist

Damit ist das menschliche Gehirn durch mindestens 3 wesentliche Randbedingungen definiert: durch den wahrgenommenen Zustand der Wirklichkeit einschließlich des inneren Zustands des Menschen, durch die individuelle Struktur des Gehirns und durch unseren Körper, der durch den Ausgangszustand des Gehirns verändert wird. Alle drei Ebenen sind untrennbar miteinander verbunden und bilden zusammen die Voraussetzung für den menschlichen "Geist". Die "Programmierung" dieses Geistes erfolgt durch kein höheres Wesen - sondern durch die Wirklichkeit selbst: die unseres Körpers und die unserer Umwelt und das Ergebnis ist ein einzigartiges "Ich".

Mythos virtuelle Realität

Betrachtet man das beschriebene Modell des Gehirns als musterverarbeitende "Maschine", so erweist sich der moderne Mythos der virtuellen Realität schnell als technischer Unsinn:

Die Idee der "virtuellen Realität" geht davon aus, dass es prinzipiell möglich ist, dem Gehirn von außen eine simulierte Wirklichkeit vorzugeben. Bisher geschieht dies, in dem uns über Augen, Ohren und in teuren Simulatoren durch das Gleichgewichtsorgan eine künstliche Wirklichkeit vorgespielt wird. Tatsächlich sind die Ergebnisse beeindruckend - wenn man sie mit dem Blick eines Theaterbesuchers sieht, der sich bewusst auf die Simulation der Wirklichkeit einlässt. Ohne diesen "Blick" ist diese Scheinrealität nicht viel näher an der Wirklichkeit als jeder Film. Zudem werden die physischen Empfindungen wie Gleichgewicht, Kälte und Wärme, Gerüche oder Wind ausschließlich "real" durch wirkliche Lageveränderung, Temperatur, Geruch und Luftbewegung "simuliert". Von einer virtuellen Realität, die dem Gehirn direkt vorgegaukelt wird, ist man noch sehr, sehr weit entfernt.

Hierzu müssten uns die Informationen direkt über die Nervenstränge eingespeist werden, die unser Gehirn mit Informationen versorgen. Man müsste also Millionen einzelner Signale gleichzeitig generieren. Dies erfordert, dass zunächst der komplette menschliche Körper simuliert wird, um physische Einflüsse von außen korrekt in Nervenimpulse zu übersetzten. Die Signale, die z.B. unsere Haut bei einem Windhauch liefert sind durch die Eigenschaften der Haut, der Behaarung und der Luft bestimmt und ergeben ein komplexes Muster, dass mit dem Windhauch selbst nichts gemein hat. Diese Signale müssen gleichzeitig vorliegen um ein konsistentes Bild der virtuellen Wirklichkeit zu liefern.

Die Übertragung der Signale in unser Gehirn gestaltet sich ebenfalls sehr schwierig. Während die Nervenstränge unseres Körpers über das Rückenmark in das Gehirn geführt werden, gelangen die Signale von Nase, Augen, Ohren und Zunge über eigene Nervenstränge in unser Gehirn. Man hätte es bei der Einspeisung von Informationen also nicht mit einer, sondern mit mindestens 5 Schnittstellen zu tun, die jede einen schweren Eingriff in unser Gehirn erforderten.

Diese grobe Skizze zeigt bereits, wie komplex das Problem der virtuellen Realität ist und das es mit dem uns zur Verfügung stehenden Wissen und unseren technischen Möglichkeiten wohl noch einige Jahrhunderte (und nicht Jahrzehnte) dauern wird, bis wir uns einer Lösung nähern. Wir werden daher wohl noch etwas auf die Matrix warten müssen.


siehe auch:

Persönliche Werkzeuge