Evolution und Gesellschaft
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Version vom 19:37, 18. Dez. 2007
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Inhaltsverzeichnis |
Anlass
Wir leben in einer Zeit, in der die Idee einer gesellschaftlichen Elite immer selbstverständlicher wird: Eliteuniversitäten, Exzellentsinitiativen, Eliteförderung. Wer heute eine Idee gesellschaftlich voranbringen will, muss unbedingt "Experten" vorweisen können, die die Idee vertreten und begründen - ein einträgliches Betätigungsfeld für Wissenschaftler und andere Auguren (Wikipedia).
Es scheint allgemeiner Konsens, dass die modernen Industriegesellschaften nur noch von einer entsprechend intellektuell ausgerüsteten Elite geführt werden können. Diese müssen natürlich in speziellen Ausleseprozessen ausgewählt werden. Gleichzeitig zeigt uns die moderne Hirnforschung, welchen Anteil die physische Struktur unseres Gehirns am Denken und Fühlen, an unserem Charakter und an unseren Wünschen hat. Und diese Hirnstruktur - das sagen uns die Genetiker - ist eng mit unseren Genen verknüpft. Da ist der Weg zu einem neuen Sozialdarwinismus fast vorbestimmt.
Zumindest käme den Eliten in den Industrieländern eine wissenschaftliche Begründung ihrer gesellschaftlichen Spitzenpositionen und der undemokratischen Ausleseprozesse sehr gelegen - würde sie doch die in diesen Ländern erodierte Begründung von Hierarchien durch Tradition oder Religion ersetzen. Intensive Versuche in diese Richtung wurden in Deutschland zwischen 1933 und 1945 bereits durchgeführt und haben entsprechende Konzepte zunächst diskreditiert. Doch das heißt nicht, dass diese Ideen als erledigt betrachtet wurden. Sie leben noch und scheinen sich in Zeiten zunehmender Verteilungskämpfe auf diesem Planeten wieder zu vermehren. Die Denkbarrieren der politischen Korrektheit wurden in den letzten Jahren eingerissen. Die Ideen von Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit geraten im Zuge der westlichen Wettbewerbsidiologie zunehmend unter Druck - und damit wird der Weg wieder frei für "neue" alte Ideen (siehe auch "Gutmensch" in Wikipedia)
In diesem Artikel möchte ich auf einige Punkte hinweisen, die die These von der "natürlichen", durch Leistung begründeten Grundlage der Eliten in unseren modernen Gesellschaften differenzieren und eine andere Interpretation der bekannten oder vermuteten biologischen, ökologischen und sozialen Zusammenhänge darstellen. Ich werde versuchen, die folgenden Thesen zu begründen:
- Evolution beeinflusst nicht nur unsere Biologie, sondern auch unsere sozialen Strukturen und Prozesse - aber anders, als die Meinungsmacher propagieren.
- Eliten sind lediglich ein Randphänomen. Ihre Bedeutung für die langfristige Entwicklung der Menschen wird überschätzt.
- Die Idee Darwins vom "Survival of the fittest" wird in den Industrieländern bewusst falsch interpretiert.
Literatur und Quellen:
Einen hervorragenden Artikel über die vermeintliche Durchlässigkeit von gesellschaftlichen Klassen und Milieus findet sich im Webblog Perspektive:blau
(Artikel: Vom Tellerwäscher zum Millionär – ein Mythos? von Bernd Schmid,
Informationen zur Eliteforschung siehe z.B. http://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Hartmann_(Soziologe))
Wie Evolution gesellschaftliche Prozesse beeinflussen kann
Evolution wird allgemein nur im Zusammenhang mit der biologischen Ausgestaltung von Lebewesen gesehen. Für den Übergang von einer Art zur anderen, für Formen, Strukturen und Eigenschaften der Lebewesen, wird die Evolution als Ursache und treibende Kraft weitgehend anerkannt. Anders jedoch bei gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen: hier werden politische, soziologische, psychologische und wer weiss was sonst noch für Ursachen und Triebkräfte zur Erklärung herangezogen. Damit ist die Entwicklung des Menschen in den letzten 10.000 Jahren quasi eine "evolutionsfreie Zone".
Tatsächlich ist aber unsere Gesellschaft und Kultur direkt durch die Eigenschaften des Menschen bedingt. Die Art wie Menschen denken und fühlen entscheidet über die Möglichkeiten für gesellschaftliches und kulturelles Handeln. Unser Denken und Fühlen aber wird direkt durch unser Gehirn bestimmt. Wir wissen heute, dass das Gehirn des Menschen nicht nur durch Erziehung und Erfahrungen geformt und geprägt wird, sondern dass wesentliche Züge der Persönlichkeit angeboren sind. Nicht im Sinne eines vorgegebenen Verhaltensprogramms - vielmehr als grobes Muster in unserem Gehirn, als individuelle "Färbung". Die Fähigkeit, Angst zu empfinden, Glück, Liebe, Zorn - diese Fähigkeiten müssen uns nicht anerzogen werden. Wir besitzen sie von Geburt an.
Es spricht sogar einiges dafür, dass auch die Stärke und Art der Gefühle und die Schwelle für ihre Auslösung Ursachen in der angeborenen Struktur unseres Gehirns haben - ebenso, wie unsere Talente z.B. für Sprache, Musik oder Mathematik. Es gehört zum Selbstverständnis der meisten Menschen, so etwas wie eine Persönlichkeit bei sich und anderen voraus zu setzen: Eigenschaften und Fähigkeiten eines Menschen, die diesen charakterisieren und die nur mit viel Disziplin und Selbstbeherrschung überwunden werden können. Auch bei Tieren spüren wir diese "Persönlichkeit", wie jeder Tierhalter bestätigen wird. Es gibt also einige Indizien - und die moderne Hirn- und Genforschung ergänzen sie um immer mehr Hinweise - die zu der Vermutung veranlassen, dass unsere Persönlichkeit zumindest in ihrer Grundfärbung genetisch bedingt und damit vererbbar ist.
Wenn dann unter definierten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen Menschen mit bestimmten Persönlichkeitsstrukturen mehr oder weniger Nachkommen haben als der Durchschnitt, so müsste sich der Anteil dieser Persönlichkeitsstrukturen verändern und langfristig zu einer Veränderung der gesellschaftlichen Grundlagen führen. Damit würden auch innerhalb der menschlichen Gesellschaft evolutionäre Prozesse wirken - wenn auch über Generationen und auf sehr subtile Art und Weise.
Warum gesellschaftliche Eliten nicht die Zukunft der Menschheit darstellen
An dieser Stelle setzen gerne sozialdarwinistische Ideen an, postulieren einen Kampf um's Überleben und leiten daraus das Recht des Stärkeren ab: Eliten sind nicht deshalb Eliten, weil sie über Macht und Eigentum verfügen, sondern weil sie klüger, schöner und stärker sind. Danach müsste sich der Mensch zu einem immer intelligenteren, schöneren und stärkeren Wesen entwickeln...was er aber nach Lage der Dinge nicht tut. Tatsächlich gibt es eine Vielzahl von menschlichen Eigenschaften, die sich fröhlich mischen und zu immer neuen Ausprägungen führen. Die menschliche Zukunft wird wohl nicht von hochintelligenten Nerds oder superergeizigen Megamanagern geprägt, sondern durch die unzähligen mittelmäßigen Menschen auf diesem Planeten. Sie bilden den größten Anteil, den Gen-Pool. Sie sorgen für Nachkommen und die statistische Verteilung von Persönlichkeitseigenschaften innerhalb dieser großen Gruppe dürfte mehr Einfluss auf unsere Zukunft haben als wir heute glauben.